Grundsätzlich besteht Sozialversicherungspflicht in jenem Land, in dem die Tätigkeit verrichtet wird (Territorialitätsprinzip gem. Art. 11 Abs. 3 lit a VO (EG) 883/2004). Bei grenzüberschreitender Tätigkeit kann es nicht zu einer Sozialversicherungspflicht in mehreren Ländern kommen (Prinzip der Einfachversicherung). Es gilt in diesem Fall den zuständigen Staat für die Sozialversicherung zu bestimmen. Dabei gelten folgende Grundregeln:
- Unselbständige Tätigkeit in mehreren Staaten für einen (mehrere) Arbeitgeber mit wesentlicher Tätigkeit (>25%) im Wohnmitgliedstaat -> Rechtsvorschriften für SV-Zwecke des Wohnmitgliedstaates sind anzuwenden
- Unselbständige Tätigkeit für einen Arbeitgeber ohne (wesentliche) Tätigkeit im Wohnmitgliedstaat -> Rechtsvorschriften des Arbeitgeberstaates sind anzuwenden
- Unselbständige Tätigkeit für mehrere Arbeitgeber mit Sitz in einem Mitgliedstaat ohne wesentliche Tätigkeit im Wohnmitgliedstaat
- Variante 1: die Unternehmen haben ihren Sitz in nur einem Staat -> Rechtsvorschriften des Sitzstaats sind anzuwenden
- Variante 2: zwei Unternehmen haben ihren Sitz in verschiedenen Staaten, von denen ein Staat der Wohnmitgliedstaat ist -> Rechtsvorschriften jenes Staates sind anzuwenden, in dem das Unternehmen oder der Arbeitgeber außerhalb des Wohnmitgliedstaates seinen Sitz hat
- Variante 3: drei Arbeitgeber mit Sitz in drei verschiedenen Staaten, davon einer der Wohnmitgliedstaat -> Rechtsvorschriften des Wohnmitgliedstaats sind anzuwenden.
Möchte man von den oben genannten Grundregeln abweichen, besteht seit 1.7.2023 unter gewissen Voraussetzungen die Möglichkeit der Weiterversicherung im Arbeitgeberstaat, auch wenn man im Homeoffice eine wesentliche Tätigkeit, zwischen 25% und 50% der Arbeitszeit, erbringt. Dabei handelt es sich um ein multilaterales Abkommen. Zum Zeitpunkt der Abfassung dieses Beitrags haben folgende Staaten das Übereinkommen unterzeichnet:
- Österreich
- Belgien
- Kroatien
- Tschechien
- Finnland
- Frankreich
- Deutschland
- Liechtenstein
- Luxemburg
- Malta
- Norwegen
- Polen
- Portugal
- Spanien
- Schweden
- Schweiz
- Niederlande
- Slowakei
Folgendes Beispiel soll die Neuregelung veranschaulichen:
Ein Arbeitnehmer, wohnhaft in Deutschland, schließt mit einem österreichischen Dienstgeber ein Dienstverhältnis ab. Es wird vereinbart, dass der Dienstnehmer im Durchschnitt an 2 Tagen pro Woche vom deutschen Homeoffice arbeitet.
Grundsätzlich besteht daher Sozialversicherungszuständigkeit Deutschlands, da der Dienstnehmer eine wesentliche Tätigkeit (>25% der Gesamtarbeitszeit) im Homeoffice ausübt. Nach dem 30.6.2023 kann der Dienstnehmer einen Ausnahmeantrag auf Sozialversicherungszuständigkeit in Österreich stellen, solange er weniger als 50% aus dem Homeoffice arbeitet. Dies erfordert eine Antragstellung. Der Ausnahmeantrag ist individuell im Arbeitgeberstaat (in Österreich beim Dachverband der Sozialversicherungsträger) zu stellen und ist freiwillig. Wird von diesem nicht Gebrauch gemacht, gilt weiterhin die 25%-Schwelle.
Voraussetzungen für die Inanspruchnahme:
- Antragstellung (Ausnahmeantrag ist nur möglich, wenn sowohl Arbeitgeberstaat als auch Wohnmitgliedstaat Vertragsstaaten sind)
- Regelmäßig, abwechselnde Tätigkeit im Homeoffice-Staat und im Arbeitgeberstaat
- Unter Zuhilfenahme von Informationstechnologie
- Tätigkeit ist dieselbe, als jene, die üblicherweise im Büro verrichtet wird
- Es wird eine Vereinbarung zwischen Dienstgeber und Dienstnehmer abgeschlossen (mehrere Arbeitgeber im selben Staat sind nicht schädlich)
- Tätigkeit von weniger als 50% im Homeofficestaat
Der Ausnahmeantrag kann in folgenden Fällen nicht gestellt werden:
- Bei Ausübung einer selbständigen Tätigkeit
- Bei abwechselnder Tätigkeit im Wohnmitgliedstaat und in einem Staat, in dem der Arbeitgeber eine Niederlassung hat, in dem sich nicht der Sitz der Gesellschaft befindet.
- Bei Tätigkeiten als Außendienstmitarbeiter bzw bei Tätigkeiten am Sitz des Kunden
- Bei regelmäßiger Tätigkeit, die nicht im Arbeitgeberstaat bzw Wohnmitgliedstaat ausgeübt wird
Der Ausnahmeantrag ist grundsätzlich für die Zukunft zu stellen, Anträge können jedoch 3 Monate rückwirkend im Arbeitgeberstaat gestellt werden, sofern in dieser Zeit Sozialversicherungsbeiträge geleistet wurden. Im ersten Jahr (1.7.2023-30.6.2024) gilt eine Rückwirkungsfrist von bis zu 12 Monaten. Voraussetzung ist allerdings, dass beide Staaten zum Zeitpunkt des Beginns der Ausnahmeregelung bereits als Signatarstaaten beigetreten sind.
Die Ausnahme kann max. für 3 Jahre beantragt werden, eine Verlängerung ist möglich.
Kurz vor Abschluss des multilateralen Abkommens sind bilaterale Abkommen mit Deutschland (ab 1.1.2023), der Slowakei (ab 1.6.2023) und Tschechien (ab 1.4.2023) in Kraft getreten, wonach bis zu 40% aus dem Homeoffice gearbeitet werden kann, bei gleichzeitigem Verbleib der Sozialversicherungszuständigkeit im Arbeitgeberstaat, sofern dies gewünscht ist. Diese sind jetzt jedoch de facto aufgrund des multilateralen Abkommens überholt, zumal sowohl Österreich als auch die drei oben genannten Staaten das multilaterale Abkommen unterzeichnet haben.
Allfällige Ausnahmeanträge, die auf Basis der bilateralen Abkommen gestellt wurden, bleiben weiterhin, auch nach dem 30.6.2023, gültig.
FAZIT:
Dienstnehmer die nach der Pandemie weiterhin verstärkt (bis zu 50% der Arbeitszeit) im ausländischen Homeoffice arbeiten möchten, können dies unter gewissen Voraussetzungen seit 1.7.2023 tun, ohne dass es zu einem Wechsel der Sozialversicherungszuständigkeit in den Wohnmitgliedstaat kommt. Es darf sich dabei allerdings nicht um eine selbständige oder um eine Außendienst-Tätigkeit handeln. Die Sozialversicherungszuständigkeit bliebe in diesem Fall im Arbeitgeberstaat. Hierfür ist ein Antrag im Arbeitgeberstaat (dessen Rechtsvorschriften weiterhin angewandt werden sollen) notwendig.
Nach den Grundregeln gem. VO (EG) 883/2004 käme es zu einem Wechsel der Sozialversicherungszuständigkeit, wenn mindestens ein Anteil von 25% der Gesamttätigkeit im Wohnsitzstaat verrichtet wird.
Die Ausnahmeregelung ermöglicht den Dienstnehmern eine flexiblere Arbeitsgestaltung und verhindert beim Arbeitgeber unnötigen Verwaltungsaufwand (etwa die Registrierung für SV-Zwecke im Wohnmitgliedstaat). Sieist daher sehr zu begrüßen.
Gerne beraten wir Sie dazu (info@artus.at).